Es gibt Pflanzen, die haben es mir angetan. Die ich einfach extra doll mag.
Eine dieser Pflanzen ist das Kleinblütige Franzosenkraut (Galinsoga parviflora).
Ein unscheinbarer Korbblütler, der den meisten erst auffällt, wenn es Hochbeet oder Terrasse komplett zu überwuchern droht.
Für mich steht das Franzosenkraut aber nicht für Unkrautjäten sondern ist Symbolbild für das verstrickte Verhältnis vom Mensch zur Natur. Es steht dafür, wie wichtig es einen Schritt zurück zu treten und Pflanzen in ihrem historischen und kulturellen Kontext zu betrachten.
In diesem Video erzähle ich dir mehr darüber.
Oder, du liest einfach weiter, wenn du das lieber magst :)
Das Franzosenkraut ist überraschenderweise ein Neophyt und kommt ursprünglich aus Peru.
Es wurde, trotz der kleinen und unauffälligen Blüten, um 1780 als Zierpflanze in europäischen botanischen Gärten eingeführt.
Der erste Nachweis ist 1785 im Botanischen Garten von Paris. Aus den Gärten hat sich die Art dann über den ganzen Kontinent verbreitet. Anders, als bei vielen anderen Arten ist die Ausbreitung des Franzosenkrautes gut dokumentiert.
1798 in Bremen, 1812 in Berlin, 1853 in Münster Westfalen.
Der Name Franzosenkraut stammt übrigens wahrscheinlich daher, dass die Ostwanderung der Art zeitgleich mit den Vormarsch der französischen Truppen von Napoleon stattfand.
Weltweiter Ruf als Acker-”Unkraut”
Inzwischen hat es weltweit den Ruf als Acker-”Unkraut”. Nicht nur, weil es nicht feuchten, nährstoffreichen Boden bevorzugt (, also deinen frisch gedüngten und gegossenen Acker). Die einjährige Art schafft es auch sich zwei- bis dreimal im Jahr neu auszusäen, wenn es lange genug frostfrei bleibt.
Die Umwandlung von gefeierter Zierpflanze hin zu bekämpften “Unkraut” ist schon interessant und “typisch Mensch”, würde ich sagen.
Meinen Fokus möchte ich aber woanders hinlegen.
”Wurde eingeführt” da bin ich gerade so schnell drüber gebuttert. ”Wurde eingeführt” ”Wurde eingeführt” ”Wurde eingeführt”
Schön passiv formuliert, liest man diese Worte immer wieder im Zusammenhang mit dem Franzosenkraut.
Wer hat denn da Wildpflanzen aus Südamerika in welchem Kontext eingeführt?
Das Franzosenkraut ist also ein Neophyt.
Als Neophyt bezeichnet man Arten, die in einem Gebiet nicht ursprünglich heimisch waren und sich durch die Einwirkung des Menschen dort ausgebreitet haben.
Als magische Grenze dafür, was “ursprünglich” ist hat sich in Europa das Jahr 1492 etabliert. Die Grenze ist also die – in fetten Anführungszeichen – die “Entdeckung” der Amerikas.
Diese Grenze ergibt aus botanischer Sicht Sinn, denn in den darauf folgenden Jahrhunderten entwickelte sich ein globales Netz des Artenaustausches zwischen den Kontinenten.
Doch das Franzosenkraut und anderen Pflanzen sind nicht einfach so passiv auf die Schiffe nach Europa gehüpft, auch waren es nicht nur unabhängig finanzierte, gutmütige Forschungsreisende, die es in die botanischen Gärten Europas brachten.
Dieser verstärkte Artenaustausch zwischen den Kontinenten war Teil der Kolonisierung der Welt durch westeuropäische Mächte. Die Katalogisierung und Zurschaustellung fremder Pflanzen in Botanischen Gärten sind Teil unser Geschichte voll mit kolonialer Gewalt, weißer Aneignung und hegemonialer Wissensproduktion.
Über die koloniale Vergangenheit der botanischen Gärten und ihrer Pflanzen und insbesondere über die Kommunikation dieser Vergangenheit möchte ich mehr lernen.
Bis dahin können wir aber alle, wenn wir das nächste Mal ein Franzosenkraut ausreißen, darüber nachsinnen, wie diese kleine unscheinbare Pflanze den Weg in dein Beet gefunden hat.
Wie schnell Dinge ihren historischen Kontext verlieren und sich von Zierpflanze in botanischen Gärten zur Plage auf Äckern entwickeln können.
Wie sie Teil ist der jahrhundertelangen, systematischen Ausbeutung und Unterdrückung ganzer Kontinente und Menschen.