Ich habe ein hässliches Bild gemalt und es ist okay – Eine emotionale Reise durch meinen Malprozess

Vor ein paar Wochen fing es an in meinen Fingern zu jucken. Während ich mich über meinen 24 mal 32 Zentimeter Bogen Papier beugte und die letzten Details an einem Pflanzenportrait setzte, erwischte ich mich dabei, von großformatigen Bildern zu träumen.

Im Stehen arbeiten. Wilder, freier, locker. Die großen Pinsel rauskramen und flächig Siena gebrannt auftragen.

Ich hatte schon lange keine Baumpilze und Flechten gemalt und noch länger nicht mehr im Großformat. Also bestellte ich große Bögen Aquarellpapier (, denn ich hatte gerade nur Blöcke unter 40 cm). Sie kamen. Wunderschön, naturweiß 50 mal 65 Zentimeter nur für mich.

Sofort wurde eines auf meine Holzplatte gespannt. Es konnte losgehen.

Ich habe ein hässliches Bild gemalt – und es ist okay Eine emotionale Reise durch meinen Malprozess

Mein Herz sprang fast über vor Vorfreude.

Ich fühlte mich wortwörtlich leichter. Voller Energie, voller Ideen, voller überlaufender Kreativität

(Musicalfans können sich im Hintergrund das Lied „Defying gravity“ aus Wicked vorstellen)

Ich hatte eine Vorstellung davon, was ich malen wollte. Die Baumpilze aus dem Urlaub. Schon häufig habe ich mir die Fotos angeguckt und darüber nachgedacht, wie ich sie am liebsten umsetze. Luftig-leicht wollte ich malen. Der Grafit würde noch durchschimmern. Ein paar lockere Farbschichten übereinander würden ausreichen, um das Motiv anzudeuten.

Nur kurz war da ein zögernder Moment vor dem weißen Blatt Papier, dann legte ich los. Vorzeichnen mit Grafit und dann die erste Farbschicht. Ich wusste nicht genau, wie ich anfangen sollte, also fing ich einfach so an.

Die ganze Fläche befeuchtet, etwas violett in diese Ecke, etwas Grün in jene. Es ging voran. (Und mein Herz sang wieder Musical-Soundtracks.)

Nach den ersten beiden Schichten war ich so energiegeladen und begeistert, dass ich meinen Fortschritt auf Instagram teilte.

Ich habe ein hässliches Bild gemalt – und es ist okay Eine emotionale Reise durch meinen Malprozess

Euphorie und Zufriedenheit, was für ein schönes Gefühl

Ich saß  mit einem Becher Tee auf der Coach, blickte in meine Arbeitsecke und freute mich. Es fühlte sich an, als ob ich vor etwas ganz Großem stand.

Noch eine Farbschicht. Noch ein paar verstärkte Farben und dann wäre das Bild fertig.

Doch dann.

Doch dann wusste ich nicht genau, wie und wo es weitergehen sollte. Es fühlte sich schon so gut an, nur noch nicht ganz fertig. Ich beschloss mich nicht zu zwingen. Das Bild stehen zu lassen und morgen oder in ein paar Tagen zurück zu kommen.

Doch auch in ein paar Tagen war ich nicht schlauer. Immer wieder stand ich vor dem Bild und freute mich, wie toll mir der Start gelungen war. Sicher, dass noch „etwas“ fehlte, aber unsicher, „was“ das etwas sei.

Ich wollte weiter malen. Ich schaufelte mir Zeit frei, extra um dieses Bild zu malen –  aber ich malte nicht weiter.

Und langsam wurde aus dem „Ich will“ ein „Ich sollte“

Ganz langsam wurde aus meinem „Ich will das Bild weiter malen, es juckt mir in den Fingern“ ein „Ich sollte (jetzt wirklich mal) das Bild weiter malen.“

Statt Freude verspürte ich Unzufriedenheit und (Versagens-) Angst, wenn ich vor dem Bild stand.

Noch ein paar Tage später, blickte ich auf das angefangene Bild und fand es insgesamt ganz scheußlich. Also wirklich, damit war ich mal zufrieden gewesen?

Die Wochen vergingen und das Bild staubte langsam in seiner Ecke ein.

So konnte es nicht weitergehen. An einem ruhigen Sonntagmorgen holte ich meine großen Pinsel wieder raus, frischte das Wasserglas auf und stand fest entschlossen vor dem Bild.

Ich einem Meisterstück des kreativen Peptalks, machte ich mir klar, dass meine plötzliche Unzufriedenheit mit dem Bild, nichts mit dem Bild an sich zu tun hat, sondern nur mit meiner Unzufriedenheit mit mir selbst.

Weil ich nicht wusste, wie ich weitermachen wollte, haute ich einfach so Farbe drauf. Noch eine Schicht auf die Pilze und noch auf die Umgebung, und noch eine, und noch eine.

Langsam aber sicher verschwand das luftig-leichte Konzept, das ich ursprünglich in meinem Kopf hatte.

Und das Ergebnis ist, nun ja, ganz scheußlich. Finde ich zumindest.

Ich habe ein hässliches Bild gemalt – und es ist okay Eine emotionale Reise durch meinen Malprozess

Es ist ganz scheußlich Aber das macht nichts.

Das stimmt natürlich so nicht. Es ist halt nur nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es ist „überarbeitet“, man sieht dem Bild an, dass es ein paar Farbschichten zu viel drauf hat.  Von meiner ursprünglichen Idee, eines luftig leichten Aquarells, ist wenig übrig geblieben.

Es mag vielleicht seltsam klingen, aber ich hefte das Ganze als Erfolgserlebnis ab.

Die Tatsache ist, dass ich vor diesem Bild stehe, und es ganz scheußlich finde, aber es nicht persönlich nehme. Ich bin weder verletzt, noch habe ich die Lust am Weitermalen verloren.

Es ist ein erster Versuch, ich mache weiter, deshalb ist es ein voller Erfolg.

Das wichtige für mich ist, dass das Bild abgeschlossen ist. Ich habe es abgenommen und es hat Platz gemacht für einen frischen, weißen Bogen Papier.

Der erste Pancake

Im Englischen lese ich manchmal von der Theorie des ersten Pancakes. Diese besagt, dass der erste Pfannkuchen immer nichts wird und rausgeschmissen wird.

Vielleicht war das auch der Fall hier.

Ich musste dieses erste Bild, egal wie es wird malen und einfach aus dem Weg schaffen, damit ich zum zweiten und dritten Bild komme.

Und dafür gibt es keine Abkürzung. Man kann nur das zweite Bild angehen, wenn man ein erstes Bild gemalt hat.

Und solange ich nicht aufhöre zu malen, bin ich nicht gescheitert.

 

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. lebensmacht

    Ich musste ein bisschen Schmunzeln, als ich deinen Beitrag gelesen habe. (-; Ich male auch, und kenne solche Situationen gut…. Ich finde eigentlich, dass du das Bild hättest so lassen können, aber auch die endgültige Variante ist übrigens nicht hässlich! Ich finde, das Bild hat was…

    1. Gesche

      Hallo und danke für dein nettes Kommentar.
      Ja, du hast schon recht, hässlich ist das Endergebnis nicht, da war ich wohl etwas hyperbolisch :)
      Es ist auf jeden Fall schön zu lesen, dass auch du dich da in den Gedankengängen wieder erkannt hast.
      Wir sind halt alle nicht alleine mit unseren Ängsten.
      Herzliche Grüße,
      Gesche

      1. lebensmacht

        Ja das stimmt… ich glaube in dem Fall hat es viel damit zu tun, wie man sich das Bild ursprünglich vorgestellt hat. Zumindest mir ging das manchmal so. Ich hatte eine tolle Idee, ein genaues Bild im Kopf, dann ist es nicht so geworden. Dann wusste ich nicht mehr weiter. Dann steht das Bild ewig rum und wird nicht „fertig“ und „blöd“ ist es dann außerdem (-;
        Liebe Grüße!

  2. Doris

    Wunderbar, Gesche, vielen Dank für diesen „Erfahrungsbericht“. Ich habe gelesen, gegrinst und immer wieder mit dem Kopf genickt. Und dabei an ähnliche Situationen aus meinem Leben gedacht, die zwar nichts mit Malen zu tun haben, aber auch irgendwie was mit Kunst. Oder Können bzw. Nicht-Können. ;-) Aus Erfahrung und vermeintlichen Misserfolgen lernen, das ist es. Und am wichtigsten ist, dass man dann nicht die Flinte ins Korn wirft. Danke Dir. :-)

  3. Daniela

    Hallo ichmale auch und mir gelingt nichts im Moment darum habe ich zu mandalas gewechselt aber ich würde auch gerne mal etwas grosses malenoki

  4. J. FLORENCE

    Danke für deine Texte…ich male zwar im Moment nicht Aquarell, sondern alles mögliche andere, aber finde mich in deinen Worten wieder…Zeichnen oder Malen ist ein toller Prozess, man sollte sich erlauben auch Hässliches und Kindliches zu malen…und ohne Druck, etwas besonders Schönes zu produzieren. Und die Einstellung auch ein nicht schönes Bild als Erfolg zu feiern find ich gut…Ich denke mir da auch immer „Hauptsache, ich weiss, dass es nicht gut ist und gestehe mir das ein“, dann kann man besser werden.

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